H./Thüringen. – „Ich bin total geschockt! Harry war doch ein alter Hase. Das An- und Abschlagen von Betonteilen machte der doch im Schlaf, nach so vielen Jahren im Betrieb“, berichtet Nachbar Piedro W. (35). „Und jetzt ist er tot. Ich kann es gar nicht glauben und frage mich, was da schiefgelaufen ist.

 

Ein Großelement sollte am nächsten Tag betoniert werden. Harry S. (49) und sein Kollege Bert G. (45) hatten alles vorbereitet. Am Betonierplatz fehlte nur noch die große Stahlschalung zur Herstellung von Betonteilen. Sie stand 40 Meter entfernt in der Hallenecke. Beide wollten diese noch schnell nach Schichtende mit dem Hallenkran dorthin transportieren. Eine Routineaufgabe. Harry schnappte sich die Leiter. Bert verfuhr den Hallenkran. Dann schlug Harry die Transportanker des Kettengehänges am Stahlbauteil an. Bert hob die Schalung um ca. 30–40 cm mit dem Kran an und fuhr diese durch die Halle. Derweil lief Harry zurück zum Betonierplatz und wartete.

 

„Die Last wurde aus Zeitgründen falsch angeschlagen.“

 

Während die Schalung heranschwebte, hielt Harry die Leiter in der Hand und machte einen Schritt auf die Last zu, bereit, bei Bodenberührung das Kettengehänge zu entfernen. Bert konnte seinen Kollegen hinter dem Stahlbauteil nicht sehen, machte es aber wie immer. Beim Abbremsen geschah dann das Unfassbare. Völlig unerwartet rutschten plötzlich die Kettenteile ab. Das sechs Tonnen schwere Stahlteil begann gleichzeitig zu kippen und herunterzufallen. Harry konnte nicht mehr reagieren. Er wurde mit der Leiter auf dem Brustkorb zu Boden gedrückt und dann von der Schalung tödlich gequetscht.

„Der Verunfallte hat sich vermutlich in den Gefahrenbereich der schwebenden Last begeben, um diese so schnell wie möglich abschlagen zu können“, so die zuständige Aufsichtsperson. Die Unfalluntersuchung ergab, dass das Vier-Strang-Gehänge nur mit zwei Strängen an zwei eingeschraubten Transportankern befestigt war. Zwei weitere Stränge waren lose an der Stahlwandung angeschlagen. Dies lassen die Kratzspuren an der Stahlwandung sowie zwei ausgerissene Federschnapper der Hakensicherung vermuten. „Vermutlich hatte der Verunfallte ebenfalls aus Zeitgründen auf das Einschrauben weiterer Transportanker verzichtet“, so die Aufsichtsperson. „Es ist anzunehmen, dass die Pendelbewegung beim Abbremsen des Kranes zu einem Abrutschen der nur lose in die Stahlkonstruktion eingehängten Haken führte und damit zu einer Kipp- oder Fallbewegung der schweren Schalung. Dadurch wurden die beiden verbliebenen Anschlagpunkte überlastet und die Transportanker brachen.“

Kurz und knapp

  • Technik: Anschlagmittel müssen sachgemäß verwendet werden. Hallenkran und Anschlagmittel waren geprüft und in einwandfreiem Zustand. Von den vier Transportankern waren nur zwei eingeschraubt und am Kettengehänge angeschlagen worden. Die übrigen zwei Haken waren nicht bestimmungsgemäß an der Form angeschlagen.
  • Organisation: Kein Aufenthalt im Gefahrenbereich unter/neben schwebenden Lasten. Erst nachdem die Last sicher abgesetzt steht, ist ein gefahrloses Arbeiten möglich. Dies hätte in der Gefährdungsbeurteilung und in der Betriebsanweisung berücksichtigt werden müssen. Doch beides fehlte. Gerade bei Routinearbeiten sollte das Wissen über mögliche Gefahren immer wieder wachgerufen werden.
  • Kommunikation/Information: Während des Absetzens gab es weder Sichtkontakt noch Abstimmung zwischen Kranbediener und Anschläger.
  • Qualifizierung/Wissen: Die Mitarbeiter waren unterwiesen und erfahren im Umgang mit schweren Schalungen. Es handelte sich um eine Routineaufgabe, die schon viele Male durchgeführt wurde. Es ist anzunehmen, dass deshalb Risiken falsch eingeschätzt wurden. Routineaufgaben werden über längere Zeiträume hinweg irgendwann als ungefährlich wahrgenommen, auch wenn dies der Gefährlichkeit der Tätigkeit nicht entspricht.