Sabine Schreiber-Costa, Arbeits- und Organisationspsychologin der BG RCI, zum Thema Sucht im Betrieb und Möglichkeiten der Fortbildung und Qualifizierung.

 

Was ist Sucht?

Sucht ist eine Krankheit. Sucht ist ein unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Wenn jemand suchtkrank ist, z. B. mit Alkohol, dann ist das der Lebensmittelpunkt. Alle Aktivität wird daran gesetzt, an das Suchtmittel zu kommen und es einzunehmen. Es ist egal, ob die Familie leidet, der Arbeitsplatz gefährdet ist, die Freunde sich verabschieden. All das wird quasi hintangestellt. Es ist nur wichtig, an das Suchtmittel heranzukommen. Suchtkranke beschreiben diesen starken Drang so, als wenn es eine Geliebte wäre, mit der man unbedingt zusammenkommen will. Alles andere wird völlig nebensächlich. Und das macht es sehr, sehr schwer, davon wegzukommen. Ohne fremde Hilfe ist das oft nicht möglich.

 

„Wer sich selbst oder Dritte durch Suchtverhalten im Betrieb gefährdet, darf nicht weiter beschäftigt werden und braucht Unterstützung.“

 

Was bedeutet das für die Arbeit, wenn berauschende Mittel genommen werden?

Die Risikobereitschaft erhöht sich und die Gefährdungen am Arbeitsplatz steigen. Die Wahrnehmung leidet, man ist nicht mehr so achtsam. Es kann dann auch zu einem schweren Unfall kommen. Wir hatten gerade erst wieder so einen Fall, wo ein Staplerfahrer, der nachweislich „gekifft“ hatte, rückwärts gefahren ist, und da stand leider ein Kollege im Weg. Die Nachwirkungen, die Suchtmittel erzeugen, sind ebenfalls gefährlich. Wenn man abends in der Disco war, etwas „eingeworfen“, einen Joint geraucht oder sich mit Alkohol betrunken hat, kann das auch noch am nächsten Tag gefährlich werden, z. B., weil der Restalkohol noch wirkt.

 

„Betriebe brauchen einen Leitfaden, der festlegt, was zu tun ist, wenn jemand auffällig wird.“

 

Woran merken Mitarbeiter, dass der Kollege ein Suchtproblem haben könnte?

Es kommt darauf an, um welches Suchtmittel es sich handelt und in welcher Phase der Entwicklung in eine Sucht der auffällige Kollege ist – von Genuss über risikoarmes, riskantes und schädigendes Handeln bis hin zu abhängigem Verhalten. Die Übergänge sind fließend. Es sind in den allermeisten Fällen immer mehrere Hinweise, die auf einen Suchtmittelmissbrauch bzw. eine Abhängigkeit hindeuten können z. B. schwankender Gang, unerklärliche Gefühlsschwankungen, verwaschene Sprache. In der Regel wird jemand auffällig, wenn er sich deutlich anders verhält als sonst. Irgendwann bekommen die Kollegen ein komisches Gefühl und denken sich: Mit dem stimmt was nicht. Und in der Regel haben die Kollegen recht. Doch die meisten trauen sich nicht, das Beobachtete anzusprechen oder irgendwas zu unternehmen. Diese Unsicherheit haben oft auch Führungskräfte und reagieren nicht.

 

Was können Betriebe tun?

Wichtig ist, eine Leitlinie oder einen Leitfaden zu haben, der festlegt, was wer tun kann, bzw. aufgrund rechtlicher Bestimmungen tun muss, wenn jemand auffällig wird. Große und mittlere Unternehmen und Betriebe haben eine Betriebsvereinbarung, wo das drin steht. Zum Beispiel, dass ich den Kollegen ansprechen muss, wenn er auffällig wird. Wenn dieser sich oder Dritte gefährdet, muss dafür gesorgt werden, dass er sicher nach Hause kommt und dass ihm anschließend Unterstützung angeboten wird. Sowohl kleineren als auch größeren Betrieben empfehlen wir, einen Leitfaden mit einem an den betrieblichen Bedingungen angepassten Stufenplan zu entwickeln. Durch offenes Ansprechen des Fehlverhaltens, Aufzeigen und Umsetzen von Konsequenzen sowie Bereitstellung von Unterstützungsangeboten kann der Betrieb schrittweise konstruktiven Leidensdruck auf den Betroffenen aufbauen und dessen Willen zur Veränderung stärken. Wichtig dabei ist: Der Betroffene hat seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen. Das macht den Arbeitgeber handlungsfähig. Wer es schafft, mit dem Rückhalt des Betriebes aus dem Tal herauszukommen und wieder Selbstbewusstsein zu haben, entwickelt Energie, Dankbarkeit und Loyalität gegenüber seinem Betrieb. Das sind dann sehr motivierte Mitarbeiter.

 

Was ist die Aufgabe von betrieblichen Suchtbeauftragten und wie wird man das?

Suchtbeauftragter kann grundsätzlich jeder werden, der Ansprechpartner und Berater im Betrieb für das Thema Sucht werden möchte. Suchtbeauftragte sind vermittelnde Personen, die das Geschehen verstehen, wissen, worum es geht, und souverän und vertraulich damit umgehen. Sie arbeiten präventiv, beraten Führungskräfte und Betroffene, klären die Belegschaft auf und machen deutlich, wie wichtig das Thema auch für den Arbeitsschutz ist. Suchtbeauftragte sollten deshalb eine gewisse persönliche Festigkeit haben. Wer Interesse hat, sollte zum Chef oder Vorgesetzten gehen und sich über die Qualifizierungsmöglichkeit informieren. Wichtig ist, dass das Unternehmen dahintersteht und Möglichkeiten zur Tätigkeit gibt, wie z. B. einen Raum für Gespräche, ein Handy, wo anonym mal angerufen werden kann, die Freistellung von der Arbeit für Beratung und Prävention, evtl. sogar ein kleines Budget. Kleinere Unternehmen können sich z. B. vernetzen und einen betrieblichen Suchtbeauftragten teilen. Einer für alle quasi. Zum anderen kann ich mich auch selbst qualifizieren, indem ich eines unserer Seminare in einem der Bildungszentren der BG RCI gemeinsam mit anderen besuche.